Buchcover Wirtschafts-Fotografie
Buchcover Wirtschafts-Fotografie

Globalisierung und Digitalisierung haben die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten radikal verändert. Wie sehr, zeigen die Bilder des Fotojournalisten Wolfgang Steche (geb. 1944). Er fotografierte in den 1970er und 1980er Jahren im Auftrag von Zeitungen und Zeitschriften Reportagen in den unterschiedlichsten Wirtschafts- und Lebensbereichen. In seinen Fotos finden sich Berufe, Firmen und Produkte, die inzwischen verschwunden sind. Sie dokumentieren den technologischen Wandel und geben Einblick in eine Arbeitskultur, die es so heute nicht mehr gibt. Im Morisel Verlag erschien ein Bildband mit 320 Abbildungen auf 128 Seiten. (ISBN: 978-3-943915-46-4   Preis: 28,00 Euro)

Darin: Der Fotohistoriker Michael Ebert (ME) im Gespräch mit dem Fotografen Wolfgang Steche (WS) und Alfred Büllesbach (AB), Geschäftsführer der Bildagentur VISUM. Wir veröffentlichen nachfolgend einen Auszug aus dem Buch.
 

Das fotografische Erbe

ME: Die Bilder in diesem Buch sind bis zu 50 Jahre alt. Welchen Weg hatten die Bilder genommen um jetzt nach so langer Zeit in einem Buch zu erscheinen?

WS: Unmittelbar nach einem Fototermin wurden die Filme entwickelt und eine Auswahl der Negative auf Fotopapier vergrößert. Die Abzüge gingen dann bei einem Auftrag zum Auftraggeber. Freie Produktionen habe ich Redaktionen angeboten, d.h. nach Absprache zugeschickt und habe sie persönlich gezeigt. Nach Abdruck der Bilder oder Ablehnung des Angebots wurden die Fotos wieder zurückgeschickt. Die hatte ich dann aufbewahrt, um sie ggf. anderen Interessenten zur Verfügung zu stellen. Ab 1982 gingen alle Abzüge und Dias zur weiteren Vermarktung ins Archiv von VISUM.

Über VISUM wurden Aufträge vermittelt, an die ich sonst nicht herangekommen wäre. Auch fand ich es immer sehr konstruktiv mit der Gruppe im Vorführraum über die fertigen Arbeiten zu diskutieren.

Ab dem Jahr 2000 ließ die Nachfrage nach Dias und Abzügen nach, so dass die Agentur die Bilder an mich zurückschicke. Die liegen heute alle bei mir in der Wohnung. Für die aktuelle Archivarbeit benutze ich die Filmnegative. Das hat den Vorteil, ich kann die kompletten Filme neu – mit den Augen von heute – sichten. Das führt oft zu ganz anderen Bildauswahlen wie damals bei der Erstsichtung, schon alleine wegen der zeitlichen Distanz. Hinzu kommt, dass damals bei der Auswahl der Fotos die Anforderungen der Auftraggeber zu beachten waren. Ich habe heute in der Wohnung rund 120 prall gefüllte Aktenordner mit Negativen. Sich damit zu beschäftigen ist extrem zeitaufwändig und man braucht eine Menge Motivation und Impulse von außen. Die kommen bei mir meistens von VISUM. Der Grundstein für dieses Buch wurde durch eine Ausstellung gelegt, das ist jetzt genau 10 Jahre her. Auf Anregung von VISUM hatte ich meine Fotos aus der Arbeitswelt aufgearbeitet, zum einen für die Bilddatenbank, zum anderen für eine Ausstellung in der damaligen VISUM-Galerie.

ME: Mit der Gründung von VISUM 1975 bauten sich die Fotografen eine Infrastruktur auf, ihre Archivbilder in eigener Regie zu verkaufen. Das war der Grundstock für die Bildagentur, die im Laufe der Jahre Fotos von hunderten Fotografen vertreten hat und immer noch vertritt. Welche Rolle spielen die inzwischen historischen Fotos heute?

Foto: Wolfgang Steche
Fernmeldeamt 1978 in Hamburg, Schlüterstraße. Foto: Wolfgang Steche

AB: Die Fotos aus den 70er und 80er Jahren spielen eine immer wichtigere Rolle, da sie zunehmend zu Dokumenten der Zeitgeschichte werden und auch immer wieder abgedruckt werden. Das Problem ist, dass wir den Bestand an alten Fotos erst wieder aufbauen mussten und damit auch heute noch beschäftigt sind. VISUM ist fast 50 Jahre alt, wer aber bei uns ein lineares Fotoarchiv erwartet, das diesen Zeitraum lückenlos bebildern kann, irrt. Zum einen hat es in den 50 Jahren immer wieder Fotografenwechsel gegeben, bei denen Fotografen ihren kompletten Bildbestand mitgenommen haben. Zum anderen wurden wir von der Digitalisierung genauso kalt erwischt wie die meisten anderen Agenturen und Fotografen auch. Eine geordnete Umwandlung des analogen Archivs in ein Digitalarchiv hatte nicht stattgefunden, den Aufwand konnten wir uns nicht leisten.

ME: Ende der 1990er Jahre begann im Bildermarkt mit Agenturen wie Getty und Corbis das digitale Zeitalter. Alle nachfolgenden Agenturen bauten etwas Neues auf, nämlich ein digitales Archiv. Die Agenturen, der analogen Zeit mussten das auch tun, aber sie hatten zugleich einen riesigen Fundus an physischen Bildern samt dem notwendigen Apparat zu verwalten. Beides kostete Geld.

Dadurch, dass ich schon seit einigen Jahren die Negative scanne, hatte ich immer wieder Gelegenheit, meine Bilder zu zeigen, sei es am Rechner oder in kleinen Ausstellungen.

AB: Die Nachfrage nach physischen Bildern sank rasend schnell. Das digitale Bild hatte viele Vorteile für den Kunden. Man denke nur an den Wegfall der ganzen Versandkosten, Redaktionen erhielten ja tausende Dias am Tag per Post oder Kurier. Um die älteren Dias oder Fotoabzüge weiter nutzen zu können, hätte man sie kostenaufwändig scannen und digital aufarbeiten müssen. Das ging nur bei einem Bruchteil der Fotos. Als journalistisch arbeitende Agentur lag der Fokus auf neuen Fotos. Das erwarteten auch die Fotografen, die ihrerseits in Digitalkameras investierten. Ungefähr 10% der heutigen Agenturen stammen noch aus der analogen Zeit. Viele Agenturen haben die Umstellung nicht überlebt.

ME: Die Aufarbeitung alter Fotos ist enorm arbeitsintensiv. Technisch hat es über die Zeit Verbesserungen gegeben, aber letztlich muss der Fotograf die Bilder auswählen und auch die dazugehörigen Informationen liefern, was oft mit einer aufwendigen Recherche verbunden ist. Dazu muss alles in eine Datenbank eingegeben werden. Inwieweit lässt sich mit den alten Fotos Geld verdienen?

WS: Die Aufarbeitung des eigenen Archivs hat sich für mich damals nicht gerechnet und rechnet sich auch heute nicht. Auch wenn immer wieder die historischen Bilder gedruckt werden, die Lizenzeinnahmen stehen in keinem Verhältnis zu dem Arbeitsaufwand. Man muss aber auch sehen: wenn die historischen Bilder nicht digital vorliegen, kann man gar nichts damit machen. Dadurch, dass ich schon seit einigen Jahren die Negative scanne, hatte ich immer wieder Gelegenheit, meine Bilder zu zeigen, sei es am Rechner oder in kleinen Ausstellungen. Das alles mündet jetzt gerade in eine große Ausstellung, in der ich die besten Fotos aus 50 Jahren zeigen kann. Betrachtet man all die Zeit und Arbeit, die man in seine alten Fotos hineinsteckt, so ist mein Eindruck, dass man das nur schafft, wenn man auch eine enge Bindung zu seiner früheren Arbeit hat. Das Geld ist es nicht.

Mann neben Maschine
Mechaniker bei der Wartung einer Max-S Flachwendermaschine in der Zigarettenproduktion, Hauni-Werke, Hamburg 1973. Foto: Wolfgang Steche

AB: Das heißt aber auch: wenn jemand nicht diese Bindung zu seinen alten Fotos verspürt, werden historisch relevante Bildbestände womöglich niemals gesichtet und gehen für immer verloren. Es gibt zu viele Fotografen, die keinen großen Namen haben, aber in einzelnen Phasen ihrer Karriere heute historisch interessante Fotos gemacht haben. Die befinden sich nicht auf dem Radar der etablierten Archive und Kulturinstitutionen. Ich sehe da die Gefahr, das visuelles Kulturgut für immer verschwindet.

ME: Ja, diese Gefahr besteht. Viele Fotografen haben keine enge Verbindung mehr zu Agenturen oder Archiven und erst recht nicht zu größeren Kulturinstitutionen, die vielleicht an historischem Bildmaterial Interesse hätten. Historische Bildbestände sind da, aber es mangelt vielleicht auch an Motivation und Kraft sie aufzuarbeiten, da man nicht weiß, wohin damit. Hier gibt es aber auch positive Entwicklungen zu vermelden. Teilweise gelingt es Nachlässe an kleinere Institutionen und Hochschulen unterzubringen, so wie beispielsweise den des zweifachen Pulitzerpreisträgers Horst Faas, den ich an der Hochschule in Magdeburg betreue. Aber man darf sich nichts vormachen, die Erschließung eines Nachlasses erfordert immer einen finanziellen und personellen Aufwand. Davor schrecken viele zurück. Zugleich beendet jetzt eine große und aktive Fotografengeneration ihr Berufsleben. Das heißt, das zukünftig noch viel mehr Archive und Nachlässe eine Heimat suchen werden.

Dabei ist oft ein Problem, das Bestände aufgespalten sind, beispielsweise weil die Fotografen bereits zu Lebzeiten Teile davon veräußert haben. Dann wird die Rechtefrage oft kompliziert. Auch die Auseinandersetzung mit zerstrittene Erben machen die Betreuung solcher Nachlässe nicht einfacher.

Über Wolfgang Steche

Er arbeitet für renommierte Zeitschriften und Zeitungen im In-und Ausland –  so für Stern, Geo, Spiegel, Focus, Die Woche, Die Zeit, Time-Life und Bloomberg-Magazin. Seine Karriere begann in Bonn, wo er u.a. für den legendären Springer-Sohn Sven Simon fotografierte. Er lebte auch in Kanada und Tokio, von wo aus er deutsche Zeitungen mit Fotoreportagen aus Nordamerika und Japan belieferte. Zurück in Europa schloss er sich der berühmten Fotografengruppe Visum in Hamburg an. Seit 1982 ist er Mitgesellschafter der Fotoagentur Visum.

1994 wurde er in die DGPh berufen.

Mit seinen Foto-Reportagen dokumentierte er zahlreiche politische Ereignisse, Technik-Trends, speziell die Entwicklung der Windkraftanlagen und Solartechnik in Europa. Neben politischen und Gesellschaftsreportagen portraitierte er ebenso viele Schriftsteller, Politiker, bildende Künstler und Schauspieler. Seit 2006 begleitet er für Epple Holding die Entwicklung des nachhaltigen Städtebaus im „Quartier am Turm“ in Heidelberg. Wolfgang Steche lebt in Heidelberg.

Web: wolfgangsteche

Bis zum 31.08.2022 zeigt die Galerie C7 in Mannheim eine große Retrospektive seiner Arbeiten.  

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