Eine Stadt auf Fotopapier. Die Sammlung Püscher
Hg. Annett Gröschner & Simon Schwinge (DGPh)
144 Seiten
Fruehwerk-Verlag
ISBN 978-3-941295-12-4; 29,90 Euro

Lokalphotographen haben meistens nur eine lokale Bedeutung. Das ist bei Vater Richard Püschel (1885-1960) und Sohn Eberhard (1922-1994) auf den ersten Blick nicht viel anders. Seit etwa 1947 erfüllten sie im südniedersächsischen Leinestädtchen Alfeld knapp 50 Jahre lang die örtlichen Bildbedürfnisse mit professioneller Sorgfalt. Die Püschers hinterließen rd. 80.000 Negative, hauptsächlich Gruppenbilder, Hochzeiten, Portraits und Ortsgeschehen. Die lassen sich wie eine Chronologie lesen – und die ist nach dem präsentierten Selbstbild, den eingenommenen Posen der Abgebildeten und nach ihrer Kleidung überregional gültig. Püschers wenigstens 45 Minuten währendes Arrangement eines typischen, mit Großformat photographierten Gruppenbildes, z.B. so gut wie jeder örtlichen Schulklasse, ist noch heute Legende. Die Photographenfamilie lebte und arbeitete unter bescheidensten Verhältnissen auf kaum 50 qm unter einem Fachwerkdach, mit einem einzigen Wasserhahn für private sowie photographische Bedürfnisse. Der junge Püscher pflegte bohemienhaft-chaotische bis skurrile Persönlichkeitszüge. Bis zu 30 Katzen strichen zeitweilig um die Beine jener Kunden, die im Flur vor einem Vorhang zu posieren genötigt wurden. Nicht so schnell vergisst der heutige Betrachter die wunderbaren Bilder von Seifenkistenrennen oder von langhaarigen, manöverschlaffen Vaterlandsverteidigern einer nahen Bundeswehrkaserne aus den 70er Jahren. Ein ausführliches, in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Universität Hildesheim entstandenes Text- und Katalogbuch zur Ausstellung im Weltkulturerbe der von Walter Gropius 1911 gebauten Fagus-Werke bringt das Püscher’sche Oeuvre zu Recht an eine breitere Öffentlichkeit. Der Kulturwissenschaftler Simon Schwinge (DGPh), der die Sammlung für den Verein für Heimatkunde Alfeld aufarbeitet, gab DGPh-Mitgliedern auf Einladung der Sektion Markt und Recht Anfang Februar eine spannende Einführung in Püschers Welten bundesrepublikanische Alltagskultur. (CA)

 

Michael Kerstgens (DGPh)
Coal not Dole

132 Seiten, 57 Tritone- und 14 Farbabbildungen, Englisch
Peperoni Books
ISBN: 978-3-941825-61-1; 32 Euro


Als der Bergarbeiterstreik in Großbritannien 1984 auf seinem Höhepunkt war, beschloss Michael Kerstgens als junger Photographiestudent den Streik zu photographieren. 1960 in Wales geboren, hatte er gute Kontakte in die lokale Bergbauindustrie, da sollte es doch gelingen, Zugang zu den Akteuren zu bekommen. Aber der Streik war brutal und hatte die britische Gesellschaft gespalten. Das Misstrauen gegenüber dem "Deutschen" war groß und photographieren konnte Michael Kerstgens in Wales nur an der Peripherie, nicht aber streikende Arbeiter und ihre Aktivitäten. Das Blatt wendete sich, als er beschloss ins Zentrum des Geschehens nach Yorkshire zu fahren und dort die Aktivisten Marsha und Stuart "Spud" Marshall traf. "Spud" vertraute dem jungen Photographen und lud ihn ein in seiner Familie zu wohnen. Das öffnete ihm die Tür zum Streikgeschehen und den Folgen jenseits der Demonstrationen, der gewalttätigen Auseinandersetzungen und der öffentlich geführten Diskussionen auf der politischen Bühne. Kerstgens photographierte Suppenküchen, Versammlungen hinter verschlossenen Türen und Frauen, die zuvor politisch nicht aktiv waren, jetzt aber ihren Männern beistanden und den Protest mit organisierten. Er photographierte Familien und ihre Kinder zuhause oder bei gelegentlichen Feiern, den Klau minderwertiger Kohle zum Beheizen der Häuser, die Organisation von Spontandemonstrationen, die Auseinandersetzungen mit der Polizei. Er photographierte den Mut und den Stolz von Arbeitern, die jenseits politischer Demagogie ihre Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse lebten. Und er photographierte ihre Erschöpfung und Verzweiflung in der Niederlage am Ende des langen Weges.
Der Bergarbeiterstreik von 1984/85 ist bis heute der letzte große Arbeitskampf in Großbritannien geblieben. Er markiert das Ende einer industriellen Ära und den Beginn einer neuen Kultur, der Finanzkultur – nicht nur in Großbritannien. Michael Kerstgens' Buch zeigt, wie dieser Prozess in die Biographien vieler Menschen eingegriffen und das Gesicht des Landes für immer verändert hat. Sichtbar wird das auch in den Bildern, die der Photograph fast 30 Jahre nach dem Streik in Yorkshire photographiert hat. Auch Bilder von "Spud", der noch immer hier lebt, sind darunter.

 

Kai-Olaf Hesse
Dresden suite

280 Seiten, numerierte Auflage 500 Exemplare
ex pose Verlag
ISBN 978-3-925935-72-5; 48 Euro

Die Photographien für diesen ungewöhnlichen Dresden-Bildband entstanden in Frühjahr 2012 und wurden durch das Dresdner Stipendium für Photographie der Stiftung Kunst und Kultur der Ostsächsischen Sparkasse ermöglicht. Dazu kam ein erfolgreiches Crowdfunding, das die aufwändige Buchproduktion mit ermöglichte. In einer langen Sequenz von farbigen Hochformaten streift Karl-Olaf Hesse die von Einheimischen und Besuchern so heiß geliebten Sehenswürdigkeiten allenfalls aus der Ferne und widmet sich dem oftmals faszinierend Banalem in Innenstadt und Peripherie: Zwischen Strauchzweigen ist ein bisschen Elbtal zu sehen; immer mal wieder steht irgendwo ein roter Container umher, und alles ist menschenleer. Traditionsbewusste Dresdner, die die Zerstörung des Elbtals durch ein Strahlbetonmonster aus Gründen eigener Bequemlichkeit nicht verhindert haben, könnten mit den Bildergebnissen von Hesses Wanderungen Schwierigkeiten haben – so wie mit der Quintessenz von Katja Dannowskis Essay, in der ihr geliebt-gehasstes „Elbflorenz“ der Enge und Rückwärtsgewandheit geziehen wird. Dabei zeichnen sich Hesses leicht pastellige Wirklichkeitsausschnitte nicht allein durch Hässlichkeiten aus – eher durch menschliche Schöpfungen einer in allen Epochen stets gewachsenen, sorglosen Nicht-Nachdenklichkeit, von Nachlässigkeit und kleinbürgerlicher Ideologie, auch von gelegentlichen Siegen wuchernder Natur über alte und neuere architektonische Untaten. Die sind sowohl privat als auch städtebaulich Stein und Beton geworden, irgendwo zwischen dem Primat des Wirtschaftlichen und Investorengier. Die Serie klagt nicht an, eher wird sie durch stille Melancholie getragen. Paradoxerweise scheinen die Einwohner die größten Feinde ihres geliebten Dresdens zu sein – „eine schöne Stadt ist, doch ihr Schein trügt.“ (Dannowski). (CA)

 

The Art of Fashion Photography
Patrick Remy (Hrsg.)
240 Seiten, 220 farbige Abbildungen, Englisch
Prestel Verlag,
ISBN: 978-3-7913-4840-7; 45 Euro

Der renommierte Pariser Autor und Herausgeber Patrick Remy versammelt in The Art of Fashion Photography zwei Dutzend international anerkannte Photo-Künstler wie Viviane Sassen, Billy Kidd oder Clare Strand, in deren Werken Kleidungsstücke zu Kunststücken werden – aus Modephotos wird Photokunst. Der reich ausgestattete Band präsentiert die Photographen jeweils in längeren Photostrecken, ergänzt durch eine kurze Biographie, und ermöglicht so einen umfassenden und topaktuellen Überblick über Mode, Kunst und Photographie heute.

 

Propaganda für die Wirklichkeit
140 Seiten mit 92 Farb-Abbildungen
Verlag Kettler
ISBN 978-3-86206-323-9; 28 Euro

Dieses Buch widmet sich einer künstlerischen Thematik, von einer multimedialen Künstlergruppe bearbeitet wurde. Das Titelzitat ist den Schriften Oswald Wieners entnommen, das Bezug nimmt auf die Besonderheit visueller Erkenntnis. Ausgehend von René Magrittes Motiv “Dies ist keine Pfeife” wird die Frage - ist die sichtbare Welt ein Bild der Wirklichkeit - in Werken der Videokunst, der Skulptur, der Malerei und der Photographie ausführlich diskutiert. Das Buch mit den wissenschaftlichen Essays von Doris Krystof und Stefanie Kreuzer ist auch dem aktiven Photographen zu Reflexion seiner eigenen Arbeit zu empfehlen. Geht es doch um die komplexe Problematik der Abbildung zur sichtbaren Realität, einem grundlegendem Thema menschlicher Erkenntnis, das der griechische Philosoph Platon in seinem Höhlengleichnis auf den Punkt gebracht hat. (DB)
(Ausstellung: Museum Morsbroich, Leverkusen, 02.02. - 04.05.2014)

 

Tobias Wenzel
Solange ich lebe, kriegt mich der Tod nicht
Friedhofsgänge mit Schriftstellern

222 Seiten, mit 74 schwarzweißen Abbildungen
Knesebeck Verlag
ISBN 978-3-86873-634-2; 29,95 Euro

Ein Zufall führte den Autor mit einem prominenten Gesprächspartner erstmals auf einen Friedhof - im Café hatte schlicht der Krach einer Kaffeemaschine gestört. Aber dann stellte sich heraus, dass man an diesem Ort zu einer besonderen Form des Austauschs findet. Tobias Wenzel machte diesen Zufall zum Programm. Er schrieb einige der weltweit prominentesten Autoren an, und das Ergebnis ist eine Sensation: Er erfuhr, warum Jonathan Franzen Friedhöfe nur mit Fernglas betritt, wie Cornelia Funke Kindern den Tod erklärt, warum ein kalifornischer Friedhof T. C. Boyle nervt und dass Jussi Adler-Olsen beim Gedanken an den Tod seiner Mutter die Tränen kommen.

 

Iwan Baan
52 Wochen, 52 Städte

136 Seiten, 61 Farbabb.
Kehrer Verlag
ISBN 978-3-86828-477-5; 39,90 Euro

In seinem exklusiv für Marta Herford entwickelten Projekt "52 Wochen, 52 Städte" nimmt Iwan Baan den Betrachter mit auf eine einjährige Photoreise um die Welt – immer auf der Suche nach den besonderen Lebensräumen und herausragenden Bauprojekten. Charakteristisch für seine Bildsprache ist die Thematisierung der engen Beziehung zwischen Mensch und Architektur, zwischen sozialer Nutzung und den unterschiedlichen räumlichen Situationen.
Der Ausstellungskatalog präsentiert 52 Photographien aus dem vergangenen Jahr, die von persönlichen Erzählungen von Iwan Baan begleitet werden. Es sind einfühlsame Begegnungen mit ebenso alltäglichen wie ungewöhnlichen Orten überall auf dem Globus, die Baan zu einem engagierten Kommentar der menschlichen (Über-)Lebensstrategien verdichtete. So wurde beispielsweise seine Dokumentation eines 45-stöckigen, unvollendeten Wolkenkratzers in Caracas, in dem rund 750 Familien »extra-legal« in einem »vertikalen Slum« wohnen, zu einem der bekanntesten Projekte des Photographen. Nicht nur hier werden die Grenzen zwischen Architekturdokumentation und der Interpretation sozialer Lebensräume fließend.

 

Bike Style
David Breun

120 Abbildungen, 128 Seiten
Braus Edition
ISBN 9783862280940; 19,95 Euro

Entspannt cruisen, von Club zu Club sprinten, auf Crosstour oder Kilometermachen zwischen den Stadtteilen: In Großstädten wie Berlin und Hamburg ist das Fahrrad längst zum Transportmittel Nr. 1 geworden. Kilometerlange Staus, verstopfte Tunnel und das Gewirr der 1001 Baustellen lassen sich auf dem City- oder Cross-Bike, dem BMX oder dem Cruiser elegant umkurven. Und weil ein Fahrrad aus mehr als zwei fahrenden Rädern besteht, ist es für die meist jungen und auf jeden Fall sehr urbanen Nutzer zum Teil ihrer Selbstdarstellung, ihres Images geworden: Zeig mir Dein Rad und ich sag Dir, wer Du bist.
In „Bike Style“ versammelt der Photograph David Breun eine repräsentative Mischung der modernen Radler und ihrer Styles – von sportiv bis elegant, von rockig bis retro, von ausgefeilt bis lässig. Aber egal, ob das Rad passend zum Pumps, die Kopfbedeckung zur Rahmenfarbe oder die Form des Lenkers analog zur Zahnspange ausgewählt wurde: Fahrtüchtig sind sie alle. Und very stylish.

 

Nan Goldin
Eden and After

320 Seiten, 300 colour illustrations, Englisch
Phaidon
ISBN 9780714865775; 85 Euro

Children have been one of Nan Goldin’s ongoing photographic subjects, and they have provided some of her most moving and intimate works. Eden and After presents her selection of just some of these photographs, which include portraits of the children of Nan’s close friends. Through these unique portraits, Nan presents a complex investigation of childhood. Some photographs depict children alone, others show them in familial and social groups. From pregnancy and newborns through to teenagers, some subjects have been documented by Nan through their entire lives. The portraits capture children in their vastly changing emotional states, from lonely and introverted to their most exuberant, literally flying through the air.

 

Andreas H. Bitesnich
So Far
25 Years of Photography

über 300 Seiten mit zahlreichen s/w und Farbphotographien
Room5Books
39.90 €

Der österreichische Star-Photograph Andreas H. Bitesnich feiert 2014 seinen 50. Geburtstag und zieht Zwischenbilanz. Im Rahmen einer großen Retrospektive im KUNST HAUS WIEN gewährt er einen noch nie dagewesenen Einblick in sein persönliches fotografisches Universum. Andreas H. Bitesnich ist es gelungen, in den verschiedenen Genres der Photographie, mit denen er sich in den letzten 25 Jahren beschäftigt hat, jeweils einen eigenen, unverwechselbaren Stil zu entwickeln. In seiner Aktphotographie erregte er bereits früh in seiner Laufbahn durch einen skulpturalen Umgang mit dem menschlichen Körper und durch perfekte Lichtsetzung Aufsehen. Bitesnichs ins Extrem getriebene Ästhetik lässt seine Aktphotos zu Meditationen über das Thema „Form“ werden. Die Ausstellung präsentiert Arbeiten aus seinen verschiedenen Aktserien und stellt diese in einen neuen Zusammenhang.