All at War. Ian Jeffrey

Das Buch zeigt die entgegengesetzte Perspektive zu dem Buch von Lee Miller in dem Zeitraum 1939-1945 mit einer anderen Art des Photographierens. Denn in der Reichswehr gab es sogenannte „Propagandakompanien,“ das waren professionelle Photographen wie die bekannten Beispiele Hilmar Pabel, Hanns Hubmann und Toni Schneiders zeigen und das Heer der engagierten Amateurphotographen, deren Einsatz sich bereits im ersten Weltkrieg bewährt hatte. Amateurphotographen haben für den heutigen Betrachter den Vorteil, dass sie nicht Auftrags gebunden sind sondern das Zeitgeschehen aus persönlicher Perspektive wahrnehmen.
Waren es im 1. Weltkrieg noch Offiziere, die sich das Hobby leisten konnten, ermöglichte die technische Entwicklung der Photographie (Kleinbildkamera, Leica, Rolleiflex, bessere und empfindlichere Filme) 1939-1945 einem sehr viel größeren Kreis die Dokumentation des Zeitgeschehens und der persönlichen Erlebnisse.

Es sind Eindrücke aus Polen (1939), Niederlande, Belgien und Frankreich, den Balkanstaaten und Griechenland (1941) und der UdSSR. Generell folgen die Photographien der zeitlichen Abfolge des Krieges Mobilmachung, Polen, Frankreich, Sowjet-Union und Berlin, aber die einzelnen Jahre und Orte werden mit sehr unterschiedlichen Motivgruppen „Alltagsszenen in Frankreich und Russland,“ „Embleme,“ „Etappenleben,“ „Prominente,“ „Kameradschaft,“ „Kuriositäten,“ und „Portraits“ (z.T. heute berühmt) zusätzlich dargestellt.
Beim Durchblättern der Alben fällt dem Betrachter auf, dass sie den Familienalben vergleichbar strukturiert sind, neben einem gewissen zeitlichen Ablauf gibt es Schwerpunktthemen die ausführlicher photographiert worden sind. Aber am eindrucksvollsten sind die Motive aus dem Alltagsleben, die eine sehr persönliche Seite anklingen lassen. Wie das Kartenspiel im Erdbunker (S. 6), der eine Katze streichelnde Soldat (S. 16), das Erinnerungsphoto mit jungen Frauen (Wolgadeutsche S. 64), Etappenalltag (S.99, 117, 122,163, 164), Kameraden (S. 176-179, 183, 223, 231).
Auch die Motivation der Soldaten war sehr unterschiedlich, viele führten ein liebgewordenes Hobby weiter, andere photographierten statt Familie und Schützenfest jetzt Kameraden und den Kriegsalltag. Einige wurden auch von ihren Kommandeuren angehalten den Vormarsch des Regiments zu dokumentieren, waren Bildjournalisten oder haben „Reiseerinnerungen“ festgehalten.

Ein empfehlenswertes Buch als Dokumentation der Zeitgeschichte und photographisch ist die mediale Entwicklung sehr interessant, weil es zeigt, wie sehr sich professionelle Sicht und der Amateureindruck bei gleichen technischen Voraussetzungen in Motivwahl Perspektive und Bildausschnitt unterscheiden und damit vom gleichen Zeitabschnitt ganz andere Bilderinnerungen hinterlassen.
Die Texte sind von dem Historiker Ian Jeffrey, der bereits theoretische Schriften „How to Read a Photograph“ und „The Photography Book“ zur Photographie vorgelegt hat. Die kritische Reflexion einer historischen politisch wichtigen Epoche wird mit Bildlegenden und ausführlichen Informationstexten zu den Personen, Orten und deren lokaler Geschichte ergänzt.

Für historisch interessierte Leser, Historiker und Photographen ein gleichermaßen interessantes Buch, das übersichtlich gestaltetet ist und den Betrachter von den heutigen Kriegssituationen mit Bildberichterstattern reflektieren lässt, dass Photographien zwar reale Augenblicke aber keine Realität zeigen. Gleichzeitig bestätigt es das Statement, dass unsere historische Erinnerung SW ist und in dieser Reduktion Portraits und Zeitgeschehen in einzigartiger Weise in zeitlose Bilder umgesetzt werden.
Im Gegensatz zu den Photographien von Lee Miller sind es hier zahlreiche persönliche Perspektiven aus unterschiedlichen Positionen, so dass in der Gesamtbetrachtung ein sehr differenziertes und Nuancen reiches Bild der Jahre 1939-1945 entsteht. (db)

All At War: Photography by German soldiers 1939-45
Hrsg.: David Franklin

Texte von Ian Jeffrey
Englisch
Buchgestaltung Festeinband
368 Seiten, 86 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
LUDION press, Brüssel
ISBN 978-94-9303-943-8
44,90 €